Wohnungsbeschlagnahme ist letztes Mittel

Die Ordnungsbehörde hat nicht für eine wohnungsmäßige Voll-und Dauerversorgung, sondern lediglich für eine obdachmäßige Unterbringung zu sorgen. Es reicht aus, wenn eine Unterkunft bereitgestellt wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt.


Es besteht zwar keine strikte „Bindung“ der Ordnungsbehörde an ein zivilrechtliches (Räumungs-)Urteil. Allerdings ist es im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht hinnehmbar, dass die Wirksamkeit eines zivilgerichtlichen Räumungstitels durch Maßnahmen nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SOG für einen längeren Zeitraum oder gar dauerhaft unterlaufen wird.

Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat im Urteil vom 22.05.2012 (Az.: 7 A 3069/12) festgestellt, dass Verfügungen einer Gemeinde im Landkreis Leer über die Beschlagnahmung einer Wohnung rechtswidrig gewesen sind.
Den Mietern der Wohnung war gekündigt worden, weil sie mit den Mietzahlungen im Rückstand gewesen seien. Das Amtsgericht Leer verurteilte die Mieter, die Wohnung herauszugeben. Nachdem die Wohnung nicht herausgegebenen worden, sollte diese zwangsweise geräumt werden. Die Gemeinde beschlagnahmte daraufhin die Wohnung und wies die vorherigen Mieter zur Abwendung der Obdachlosigkeit in die Wohnung ein. Die zunächst befristete Maßnahme verlängerte die Gemeinde in der Folgezeit mehrfach. Gegen die von der Gemeinde angeordnete Beschlagnahme richtete sich die erhobene Klage. Das Gericht hat der Klage stattgegeben. In der Urteilsbegründung wird ausgeführt, dass nach dem niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung die Beschlagnahme einer Wohnung zur Abwendung einer drohenden Obdachlosigkeit möglich sei. Insbesondere für eine Familie mit einem kleinen Kind stellte die Obdachlosigkeit eine erhebliche Gefahr dar.
Gleichwohl dürfte die Wohnung grundsätzlich nur bis zu sechs Monaten beschlagnahmt werden. Zudem müsste die Behörde nachweisen, dass anderweitiger zumutbarer Wohnraum nicht zur Verfügung stehe. Das sei der Gemeinde nicht gelungen. Die Gemeinde habe die vorherigen Mieter lediglich dazu angehalten, sich um Ersatzwohnraum zu bemühen. Ausreichende eigene Anstrengungen der Gemeinde, eine andere Möglichkeit der Unterbringung zu finden, seien nicht erkennbar gewesen. Solche Anstrengungen seien aber insbesondere dann erforderlich, wenn -wie hier- die ehemaligen Mieter die Wohnung nach einem rechtskräftigen zivilrechtlichen Urteil schon längst hätten räumen müssen.

VG Oldenburg, Urteil vom 22.05.2012 – 7 A 3069/12 bestätigt durch das OVG Lüneburg 11 ME 316/09