Auf Parkplätzen gilt vor allem das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme.
Falls der Beweis eines eindeutigen Sorgfaltspflichtverstoßes nicht geführt werden kann, was in vielen Fällen das Problem der Anspruchsverfolgung ist, entscheiden die Gerichte nach dem Beweis des ersten Anscheins hinsichtlich einer Sorgfaltspflichtverletzung.
Die hieraus resultierenden Haftungsquoten sind gerichts- und fallabhängig.
Nachfolgend einige Beispiele:
Urteil des Amtsgerichts Saarlouis vom 07.06.2013, Aktenzeichen: 27 C 1472/12 (13)
Ausparkunfall, Parktasche Adi Parkplatz, Quote: 70% passierendes Fahrzeug zu 30% (Betriebsgefahr) ausparkende Fahrzeug, Gründe: Licht anmachen ließ auf anstehendes Ausparken schließen, der Vorgang des Ausparkens wahrgenommen.
Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 19.10.2012, Aktenzeichen: 13 S 122/12
Ausparkunfall, sowohl die Klägerin als auch der Erstbeklagte parkten mit ihren Fahrzeugen rückwärts aus einander gegenüberliegenden, schräg zur Fahrgasse angeordneten Parktaschen aus. Dabei kam es zum Unfall. Nach der Beweisaufnahme steht fest, dass eines der Fahrzeuge im Kollisionszeitpunkt gestanden hat.
Aus den Gründen:
Diesen Anforderungen hat der Erstbeklagte nicht genügt. Wie unstreitig ist und von dem Gutachten des Sachverständigen … überdies bestätigt wird, befand sich der Erstbeklagte im Kollisionszeitpunkt noch in Rückwärtsfahrt.
3. Entgegen der angegriffenen Entscheidung kann der Klägerin allerdings kein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO zur Last gelegt werden.
a) In tatsächlicher Hinsicht hat das Erstgericht es – anders als die Klägerin meint –ausdrücklich (Seite 5) als erwiesen angesehen, dass das klägerische Fahrzeug im Zeitpunkt der Kollision stand. Soweit das Erstgericht ausführt, der Ausparkvorgang sei noch nicht abgeschlossen gewesen, soll damit ersichtlich nur zum Ausdruck gebracht werden, dass die Klägerin noch eine weitere Fahr- und Lenkbewegung hätte ausführen müssen, um vollständig auszuparken. Dass die Klägerin bereits über einen längeren Zeitraum gestanden hätte, hat das Erstgericht hingegen nicht als erwiesen angesehen.
Quote: Mitwirkende Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges unter den hier gegebenen Umständen zu einer Mithaftung von 20 % / 80%.
Landgericht in Saarbrücken Urteil vom 09.07.2010, Aktenzeichen: 13 S 61/10
Am Unfalltag beabsichtigten die Unfallbeteiligten, aus gegenüberliegenden Parktaschen rückwärts ausparken. Dabei kam es zur Kollision zwischen den beiden Fahrzeugen.
Beide Fahrer behaupten den Ausparkvorgang bereits abgeschlossen zu haben und behaupteten der jeweils andere sei gegen das stehende Fahrzeug gefahren. Im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gem. §§ 17 Abs. 1, 2 StVG, welche nach der Beweisaufnahme zu Überzeugung des Gerichts feststanden, führte zu einer Alleinhaftung.
Aus den Gründen:
Im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gem. §§ 17 Abs. 1, 2 StVG führt dies zu einer Alleinhaftung der Widerbeklagten. Das Verschulden der Zweitwiderbeklagten wiegt in zweierlei Hinsicht so schwer, dass eine Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges ausnahmsweise zurücktritt. Zum Einen hat sich hier die besondere Gefährlichkeit des Rückwärtsfahrens realisiert, weil die Widerbeklagte zu 2) ganz offensichtlich aufgrund des nach hinten eingeschränkten Blicks das Beklagtenfahrzeug nicht erkannt hat. Zum anderen geht die Kammer aufgrund der Beweisaufnahme davon aus, dass die Zweitwiderbeklagte unnötig weit rückwärts ausgefahren ist und hierdurch das ohnehin gefährliche Fahrmanöver in seiner Gefährlichkeit nicht unerheblich verstärkt hat.
Haftungsquoten von 70% für den Türöffnenden und 30% für den Einparkenden.
Amtsgericht in Limburg Urteil vom 13.04.2011, Aktenzeichen: 4 C 344/10 15.
Wird die Fahrertür eines in einer Parklücke abgestellten Kfz unerwartet geöffnet und kommt es dabei zu einer Kollision mit einem in die danebengelegene Parklücke einparkenden Fahrzeugs, so haftet der Türöffnende, gegen den der Beweis des ersten Anscheins bzgl. einer Sorgfaltspflichtverletzung spricht, zu 70% und der einparkende Fahrer zu 30%.
Die aussteigende Klägerin hat – nach der Auffassung des Gerichts – nicht dargetan, dass der Unfall für sie vermeidbar war. Das Verhalten der Klägerin begründet einen schuldhaften Verkehrsverstoß ihrerseits, da sie beim Aussteigen eine gesteigerte Sorgfaltspflicht zu erfüllen und den Verkehr aufmerksam zu beobachten hatte, um dessen Gefährdung auszuschließen. Aber auch dem Beklagten ist ein Verschulden am Unfall vorzuwerfen. Dies ist dadurch begründet, dass er nicht mit der auf Parkplätzen gebotenen Achtsamkeit in die Parklücke eingefahren ist.
100% Haftung Anscheinsbeweis zu Lasten des Rückwärtsfahrers beim Rausfahren aus einer Parkbox.
Kammergericht in Berlin Urteil vom 25.1.2010, Aktenzeichen: 12 U 108/09.
Die erhöhten Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren (§§ 9 Abs. 5 StVO) dienen dem Schutz des Verkehrsraumes, in den das Fahrzeug fahren soll und den der Fahrer nicht so gut einsehen kann wie beim Vorwärtsfahren.
Kommt es auf einem Parkplatzgelände im Zuge des Rückwärtsfahrens aus einer Parkbox zu einer Kollision mit einem stehenden Fahrzeug, mit dem der Kläger zuvor aus einer gegenüberliegenden Parkbox ausgefahren war, so spricht der Anscheinsbeweis gegen den Rückwärtsfahrer.
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger hatte seinen Pkw auf einem Parkplatz an einem Bahnhof in einer Parkbox vorwärts eingeparkt. Beim Verlassen der Parkbox durch Rückwärtsfahren kam es zur Kollision. Der Kläger hatte sein Fahrzeug bereits aus der Parkbox rückwärts herausgefahren und stand bereits 10 Sekunden auf der Fahrstraße, um seine Ehefrau, die er vom Bahnhof abgeholt hatte, einsteigen zu lassen, als der Beklagte beim Rückwärtsfahren aus einer Parkbox mit dem Fahrzeug des Klägers kollidierte.
Das Landgericht ging von einer Mithaftung des Klägers von 25 % aus. Die Berufung des Klägers führte zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Haftung der Beklagten zu 100%.
Die 100% Haftung der Beklagten folgt daraus, dass der Beklagte beim Rückwärtsfahren gegen die Fahrerseite im Bereich der hinteren Tür des stehenden Fahrzeuges des Klägers gefahren ist. Beim Rückwärtsfahren hatte der Erstbeklagte den Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO) gerecht zu werden, also sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Notfalls hätte er sich einweisen lassen müssen. Weil es im Zuge des Rückwärtsfahrens des Beklagten zu dem Schaden am Klägerfahrzeug gekommen ist, spricht der Anscheinsbeweis für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten. Die Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Klägers tritt demgegenüber zurück.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 28. April 2009 verkündete Urteil der Zivilkammer 17 des Landgerichts Berlin – 17 O 302/08 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.288,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.267,00 € für die Zeit vom 20. September 2008 bis zum 19. Januar 2009 und aus 3.288.50 € seit dem 20. Januar 2009 zu zahlen.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 777,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Dezember 2008 zu zahlen.
Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1
Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen den Ausführungen des Landgerichts haften die Beklagten für den Schaden des Klägers zu 100 %.
2
1. Die Haftung der Beklagten folgt daraus, dass der Erstbeklagte beim Rückwärtsfahren gegen die Fahrerseite im Bereich der hinteren Tür des stehenden Klägerfahrzeugs gefahren ist.
3
Beim Rückwärtsfahren hatte der Erstbeklagte den Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 2 StVO gerecht zu werden, also sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls hatte er sich einweisen zu lassen.
4
Weil es im Zuge des Rückwärtsfahrens des Erstbeklagten zu dem Schaden am Klägerfahrzeug gekommen ist, spricht der Anscheinsbeweis für eine Sorgfaltsverletzung des Erstbeklagten (vgl. Senat, VM 1988, 32; VRS 108, 190 = KGR 2005, 151)
5
Dieser Anscheinsbeweis ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht erschüttert. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeklagte während des Zurücksetzens seines Fahrzeugs den hinteren Verkehrsraum hinreichen beobachtet hat; anderenfalls hätte er das Klägerfahrzeug sehen müssen.
6
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war die vom Erstbeklagten rückwärts zurückgelegte Fahrstrecke zwar relativ kurz, der Erstbeklagte hätte als zurücksetzender Kraftfahrer jedoch darauf achten müssen, dass der Gefahrraum hinter seinem Kfz frei ist und von hinten wie von den Seiten her frei bleibt ( vgl. OLG Oldenburg VRS 100, 432; OLG Düsseldorf VRS 87, 47; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., StVO § 9 Rn 51).
7
Der Erstbeklagte ist seiner Rückschaupflicht offenbar nicht gerecht geworden. Dies führt zur vollen Haftung (Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs tritt zurück), wenn nicht den Kläger ein Mitverschulden trifft.
8
2. Ein Mitverschulden des Klägers ist nicht bewiesen. Zwar trifft es zu, dass auch der Kläger zunächst aus der Parkbox rückwärts herausgefahren ist. Im Zuge der Rückwärtsbewegung ist es jedoch nicht zum Unfall gekommen. Dieser ereignete sich erst, nachdem der Kläger stand, und zwar in Richtung des Geradeausverkehrs zwischen den davon rechts und links schräg angezeichneten Parkboxen, um seine Ehefrau einsteigen zu lassen.
9
Die erhöhten Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren (§ 9 Abs. 5, § 1 Abs. 2 StVO) dienen dem Schutz des Verkehrsraums, in den das Fahrzeug fahren soll und den der Fahrer nicht so gut einsehen kann wie beim Vorwärtsfahren (vgl. § 9 Abs. 5, 2. Halbsatz: erforderlichenfalls einweisen lassen). Beim Zurückfahren in den hinter seinem Pkw befindlichen Verkehrsraum hat der Kläger jedoch keinen Schaden verursacht. Vielmehr stand das Fahrzeug, und zwar so lange, dass die an der Beifahrerseite stehende Ehefrau des Klägers über das Fahrzeug hinweg das Beklagtenfahrzeug hat rückwärts anfahren sehen und noch “Nein” rufen konnte, bevor es zum Unfall gekommen ist.
10
Das klägerische Fahrzeug stand so, dass der rückwärts fahrende Erstbeklagte mit seinem Heck gegen die linke Seite des Klägerfahrzeugs gestoßen ist. In dieser Position hätte sich der Kläger auch befinden können, wenn er vorwärts aus der Parkbox ausgefahren wäre oder er von der Straße kommend angehalten hätte, um auf einen freien Parkplatz zu warten.
11
Auch ein Verstoß des Klägers gegen die Pflicht, darauf zu achten, dass der Gefahrraum hinter dem Kfz frei ist und von hinten und von den Seiten her frei bleibt (vgl. oben), kann nicht festgestellt werden, weil sich diese Pflicht nur auf die Zeit während der Rückwärtsfahrt beziehen kann, die zweifellos beendet war.
12
Dass der Kläger den ausparkenden Beklagten zu 1) so rechtzeitig bemerkt hat, dass er ausreichend Zeit gehabt hätte, diesen durch ein Hupsignal auf die Gefahrensituation aufmerksam zu machen, haben die Beklagten nicht dargelegt.
13
Die nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung seitens der Beklagten erbrachten Zahlungen waren bei der Abfassung des Tenors nicht zu berücksichtigen, da die diesen Zahlungen zugrunde liegende Verurteilung der Beklagten nicht Gegenstand des zweiten Rechtszuges war.
14
Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Absatz 1 Nr. 1, Absatz 2 ZPO n. F.).
15
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. V. m § 26 Nr. 8 EGZPO.